Bereits zu Joseph Roths Jugend um die Jahrhundertwende erinnnerten nur noch wenige einzelne Fassaden von verfallenen Bauwerken an die frühere Pracht seiner Geburtsstadt Brody, einem kleinen Ort in Ostgalizien. Heute kümmert sich niemand mehr um die weit zurückliegende großbürgerliche Vergangenheit der Stadt. Die Sorgen der ukrainischen Bevölkerung kreisen um alltäglichere, realere Probleme. Brody wäre in Vergessenheit geraten, hätte Joseph Roth nicht mit seinen "Reportagen aus Galizien", die er 1924 im Auftrag der renommierten Frankfurter Zeitung schrieb, ein authentisches Bild der damaligen Stadt der Nachwelt überliefert. / Roth, der die auffallendste Mischung von Judentum und Österreichertum in der Literatur darstellt, bezog die Inspiration sowohl für den erzjüdischen Roman "Hiob" aus auch für den erzösterreichischen Roman "Radetzkymarsch" aus Brody. An diese Heimat, zu der es keine wirkliche Rückkehr geben konnte, war er durch Sehnsucht und Ablehnung, Liebe und Haß, Stolz und verschämte Verlegenheit verbunden. Das kleine "jüdische Städtchen" im Osten war aber auch der Mikrokosmos, in dem Roth mit einer Welt voller Gegensätze in Berührung kam. / Egon Humer verfolgt die Spuren des weltberühmten Dichters in seiner Heimatstadt, sucht die Wurzeln seines schriftstellerischen Schaffens in dem ehemaligen Grenzort am Rande des russischen Zarenreiches und der österreichisch- ungarischen Monarchie. Humer findet aber auch eine Gegenwart, in der neben allen Mühen und Sorgen die Erinnerung an Joseph Roth ihren Platz findet und oft die einzige Verbindung der ukrainischen Provinzstadt zur Welt darstellt.