Familienfilme, Amateurfilme und die Aufgabe von Filmclubs
Das Interesse an Amateurfilmen und privaten Familienfilmen ist seit den 1990er Jahren stark gewachsen. Als Amateurfilme bezeichnet man solche Produktionen, die in den organisierten Strukturen von Amateurfilmclubs entstanden sind. Die Clubs hatten die Funktion, ihren Mitgliedern Equipment zur Verfügung zu stellen und sie an den Geräten auszubilden. Außerdem bot sich die Möglichkeit zum Austausch und gegenseitiger Beratung. Die Filmemacher:innen drehten nicht nur dokumentarische Formate, sondern wagten sich auch an fiktionale Formen und den arbeitsaufwändigen Animationsfilm.
Lokale bis internationale Wettbewerbe
Die Amateurfilmclubs organisierten jährliche Wettbewerbe auf lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Daran teilzunehmen und vielleicht sogar zu gewinnen, brachte Anerkennung und Prestige. Diese Filme können als Gegenprodukte einer kommerziellen Spielfilmproduktion bezeichnet werden und experimentierten zum Teil auch mit neuen Formen.
Die Familienfilme bzw. Homemovies sind dagegen Filme, die ausschließlich in privaten Kontexten entstanden und vorgeführt wurden. Ab Ende der 1920er Jahre gab es eine umfangreiche Ratgeberliteratur, die alle Aspekte einer Produktion (Drehbuch, Licht, Kamerabewegung, Titelgestaltung, Schnitt usw.) behandelten, um die Filme möglichst professionell zu gestalten.
Filmaufnahmen als Relikte der Vergangenheit
Das neue Interesse lässt sich zum einen damit erklären, dass Aufnahmen auf Film in den verschiedensten analogen Formaten wie 16 mm, 8 mm, 9,5 mm, Super8 inzwischen als Relikte vergangener Zeiten gelten. Ihnen ist eine gewisse Exotik eingeschrieben. Von dem, was sie über den Alltag und die Kultur vergangener Jahrzehnte zeigen und erzählen, geht eine Faszination aus. Ihre Bedeutung als historische Quelle wird zunehmend erkannt und gewürdigt. Zum anderen wächst ihr Marktwert dadurch, dass sie verstärkt in historischen Programmen für das Fernsehen verwendet werden.
Privataufnahmen erzählen Geschichten persönlicher
Da sich der Dokumentarfilm und die historischen Programme verändert haben und heute Geschichten persönlicher erzählt werden, passen die privaten Bilder besser dazu als die offiziellen Wochenschauaufnahmen in Schwarzweiß, die seit den 1950er Jahren zudem schon oft gesendet wurden. Hinzu kommt ein technischer Aspekt. Die Fernsehredaktionen gehen heute davon aus, dass den Zuschauer:innen kaum noch schwarzweiße Bilder zumutbar sind, sie müssen farbig sein.
Amateurfilm in Farbe
Der Amateurfilm hat den Vorteil, dass er schon in den 1930er Jahren in Farbe gedreht werden konnte, während das professionelle 35 mm Material in Farbe erst Ende der 1930er genutzt werden konnte. Wie groß der Druck seitens der TV-Anstalten ist, zeigte sich in den zahlreichen Fernsehprogrammen zum 100-jährigen Jubiläum des Ersten Weltkriegs, bei denen das historische Schwarzweiß-Material sehr oft digital koloriert wurde. Dabei werden keine realistischen Farben gewählt, sondern sanfte Pastelltöne, wie man sie von Farbfotos aus dieser Zeit kennt.
Amateurfilmmaterial in Kompilationsfilmen
Zwar gab es schon vorher Fernsehproduktionen, die Amateurmaterial verwendeten, wie Michael Kuball mit seinen Kompilationsfilmen „Famileinkino“ (1979) oder „Das war unser Krieg“ (1995) oder der SDR-Fünfteiler „Die verwackelte Vergangenheit“ (1986/87) von Hans Beller. Für einen regelrechten Durchbruch sorgte aber erst Michael Kloft von Spiegel TV mit „Welche Farbe hat der Krieg?“ (1995) und „Das Dritte Reich in Farbe“ (1999), bei denen er überwiegend private Filmaufnahmen verwendete.
Nachfrage nach Amateurmaterial steigt
Da diese Programme beim Publikum sehr erfolgreich waren, wuchs der Bedarf und damit auch der Marktwert für Amateurmaterial. Hinzu kam, dass mit Internetportalen wie YouTube ab 2005 dem privaten Bewegtbild eine Plattform zur Verfügung stand. Dadurch wuchs seine Bedeutung und machte eine andere Bildästhetik hoffähig. Sie prägte die populäre Kultur beispielsweise in Werbespots oder Musikvideos und rückte historische Privataufnahmen zusätzlich in den Fokus.
Regionale und nationale Filmarchive zeigen Interesse
Durch dieses allgemein wachsende Interesse begannen sich regionale und nationale Filmarchive für das bisher vernachlässigte Genre zu interessieren. Es gab Workshops, Symposien und Konferenzen und auch die Film- und Medienwissenschaft begann sich zu interessieren. Zu nennen sind hier beispielsweise die Arbeiten von Patricia Zimmermann, Alexandra Schneider und Martina Roepke zum Heimkino und seiner Geschichte.
RhInédits über Grenzen hinweg
Von 2018 lief das auf drei Jahre angelegte Interreg-Projekt „RhInédits“. Es recherchierte Filme, die im 20. Jahrhundert am Oberrhein entstanden sind und nicht kommerziell ausgewertet wurden. Die Universität Strasbourg, die Hochschule Offenburg und das elsässische Filmarchiv MIRA arbeiteten mit zahlreichen Partnern wie der Landesfilmsammlung Baden-Württemberg zusammen. Das Projekt macht eine Auswahl von Filmen in der „Kinemathek Oberrhein“ öffentlich zugänglich und stellt die Filme in einen historischen Kontext. Dadurch wird die Bedeutung privater Filme als Dokumente der Vergangenheit sichtbar gemacht.
Alltag, Kultur und Familiengeschichten werden sichtbar
Diese Filme machen Familiengeschichten, den Arbeitsalltag und das kulturelle Leben erfahrbar. Deshalb muss dieses wertvolle filmische Erbe langfristig gesichert werden. Denn nur allzu oft werden die Aufnahmen der Großeltern-Generation einfach deshalb entsorgt, weil niemand den Projektor bedienen kann. Deshalb sammelt das Projekt gemeinsam mit den beteiligten Archiven solche Aufnahmen und ist Ansprechpartner für Familien, Amateurfilmclubs, Kommunale Kinos und städtische Filmsammlungen.